Tages-Anzeiger | 9.11.2001

Ganz beklemmend aktuell
Georg Schramm liefert in "Mephistos Faust" eine ebenso kluge wie komische Gegenwartsanalyse.

"Mit wenig Witz und viel Behagen": Die asymmetrische Beziehung zwischen dem aktuellen Comedy-Angebot und einem Publikum, das sich trotz oder gerade wegen der weit verbreiteten komödiantischen Geistlosigkeit kannibalisch wohl fühlt, ist im Fall des Kabarettisten Georg Schramm umzukehren. Zwar ist sein Witz nicht von der Art, dass einem das Lachen im Hals stecken bliebe - dazu ist er zu sprühend. Aber wer gelacht hat, den beschleicht ein Gefühl des Unbehagens. Was Schramm so schrecklich komisch beschreibt, ist traurige Realität. Als politischer Kabarettist braucht er weder zu erfinden noch zu übertreiben. "Alles ist schon da." Zum Beispiel der Krieg.

Zinksarg und Peace Box
Wenn Oberstleutnant Sanftleben, der wie der Preusse Dombrowski und der hessische Altsozi August zu Schramms bewährtem Figurenarsenal gehört, das Ende der Nachkriegs- zeit verkündet, liegt die Pointe darin, dass eine neue Vorkriegszeit begonnen hat. Am Tag, an dem die USA vom "uneingeschränkt solidarischen" Deutschland Tausende Soldaten für den Ernstkampf im "Krieg gegen den Terror" einfordern, leuchtet diese Gegenwartsanalyse auf beklemmende Weise ein. Dass Schramms Programm aber überhaupt eine solch brennende Aktualität erlangen konnte, verdankt es weniger dem Zufall als dem Scharfsinn seines Schöpfers. Eine "Remilitarisierung der deutschen Aussenpolitik" hat Schramm bereits seit dem Kosovo-Krieg beobachtet. "Militante Humanität als tätige Reue", so bezeichnet er das neue Paradigma bissig. In der Berliner Republik zieht man in den Krieg, um die Menschenrechte zu verteidigen. Und was, wenn man dabei umkommt? Dann kehrt man, vermutet Schramm sarkastisch, nicht im Zinksarg zurück, sondern in einer "Peace Box".

Wut und Wehmut
Nichts ist mehr, wie es war - das bekommt auch der Drucker August zu spüren, der letzte deutsche Sozialdemokrat. Diesem liebenswürdigen Dödel will es nicht in den Kopf, dass Parteigeneral Müntefering den "Widerspruch von Kapital und Arbeit" für aufgehoben erklärt. Im Politzirkus der Neuen Mitte ist für den dummen August kein Platz mehr, als Arbeiter gehört er einer aussterbenden Spezies an. Diese bitterböse Diagnose kontrastiert Schramm freilich mit einem Spiel, das Wehmut und Wärme verrät. So verneinend er den Geist des kulturpessimistischen Preussen Dombrowski zeichnete und so zweischneidig den jovial-aggressiven Bundeswehroffizier Sanftleben, so mitleidsvoll widmet er sich am Ende diesem "kleinen Mann von der Strasse". "Mephistos Faust" zählt nicht nur zum Klügsten, was politisches Kabarett im Augenblick zu bieten hat. Mit seiner überragenden Bühnenpräsenz und der dramaturgisch geschickten Verknüpfung der Figuren macht Georg Schramm aus der Unzulänglichkeit der Welt zugleich ein sinnlich-theatralisches Ereignis.

Philipp Gut