Süddeutsche Zeitung 29.03.2005

Der Bissigste von allen
Georg  Schramm mit neuem Programm im Lustspielhaus

Der schlecht gelaunte Rentner Lothar Dombrowski hält die Welt für einen Sauhaufen. Er spürt die ständige Veränderung und versteht sie nicht. Er hasst Trends und Moden einer für ihn viel zu weich gespülten Gesellschaft. Wie ein moderner Moses wettert er auf dem Bühnen-Berg gegen soziales Unrecht, gegen die von Wirtschaft und Verbänden “metastasierten” Parteien, gegen das Kapital. Selbst in des Bundespräsidenten Rede beim Arbeitgeberforum sieht er nur Gewäsch. “Warum macht Köhler nicht den Arm-Reich-Konflikt zum Thema?", ruft er. Es gärt im Saal des Freiburger Vorderhauses. Jemand schreit: “Ackermann!" Der “Urnenpöbel” (Dombrowski) entwickelt Kampfgeist. Angestachelt von einem Altenheimbewohner mit künstlicher Hand. Das ist kein Kabarett mehr. Das ist eine politische Versammlung.

“Thomas Bernhard hätte geschossen”, heißt das neue, sechste Soloprogramm des herausragenden Satirikers Georg  Schramm. Als es Mitte März in Freiburg Premiere hatte, wurde deutlich, warum  Schramms traurige Figuren, von denen der Rentner Dombrowski nur eine ist, Ausnahmeerscheinungen im deutschen Kabarett sind.  Schramm ist bissiger als Mathias Richling als Ulla Schmidt. Er ist böser als Bruno Jonas am Nockherberg und politischer als Frank-Markus Barwasser als Erwin Pelzig. Das mag mit seiner Biografie zusammenhängen.

Georg  Schramm wurde 1949 als Sohn eines Arbeiters und einer Hausfrau in Bad Homburg geboren. “Mein Schulweg führte an den ältesten Golf- und Tennisclubs Deutschlands vorbei”, sagt er. “In der Pubertät war ich neidisch bis zum Anschlag, dass ich nicht auf deren Pyjamaparties gehen durfte." Wegen seines schlechten Abiturs und mangels Geldes für ein Studium verpflichtete sich der Linkshänder bei der Bundeswehr. Er wurde Jahrgangsbester bei den Einzelkämpfern und schaffte es bis zum Offizier der Reserve. Von Willy Brandt geprägt, verweigerte er später den Kriegsdienst, studierte Psychologie in Bochum und arbeitete zwölf Jahre lang als Psychologe in einer Reha-Klinik am Bodensee. Während einer Geburtstagsrede im Schäferhundeheim Markelfingen wurde jemand von einem Konstanzer Kleintheater auf ihn aufmerksam. Mit über dreißig stand er erstmals auf der Bühne. Vor zwei Jahrzehnten startete er eine erste Solo-Tournee, später holte Dieter Hildebrandt den - mittlerweile mehrfach ausgezeichneten - Einzelkämpfer, Verweigerer, Psychologen und Satiriker zum Scheibenwischer.

Auch heute noch tritt  Schramm - bei der Gewerkschaft war er auch mal - in der Sendung auf. Im Gegensatz zu manch anderen Kabarettisten, falls diese Bezeichnung überhaupt noch existiert, scheut er öffentlichen Rummel, zieht kleine Bühnen vor. Und anders als viele seiner Kollegen, die - zum Beispiel als Buchautoren, Late-Night-Moderatoren oder hoch dotierte Werbeträger - nicht mehr als Stimme des kleinen Mannes taugen, bleiben Schramm und seine Figuren authentisch. Aggressiv und kompromisslos sind sie, sprachgenau und sensibel, leidenschaftlich und leidend. Wenn sich der hessische Sozialdemokrat August - eine Figur, die Schramm seinem Vater nachbildete - über die wohltätigen Reichen empört, die auf der Straße im Pelzmantel Obdachlosen Kartoffelsuppe ausschenken, dann ist das kein Kabarett mehr. Dann ist das ein Aufruf. “Ich möchte möglichst alt und möglichst boshaft werden, um möglichst gut schreiben zu können", sagt Thomas Bernhard. Schramm hat diesen Zustand erreicht. Sein neues Programm benannte er nach einem Text Bernhards, in dem beschrieben wird, wie ein Autor all jene Menschen im Zuschauerraum erschießt, die an den falschen Stellen seines Stückes lachten.

Als August erzählt Schramm über das entwürdigende Leben im Pflegeheim. Als Oberst- leutnant Sanftleben träumt er davon, alle Probleme mit einem Schlag zu lösen. Und als schmieriger Motivationstrainer schlägt er vor, jungen Arbeitslosen künftig mehr Geld zu überweisen. Damit sie es gleich wieder auf den Kopf hauen, so die Wirtschaft ankurbeln und früh sterben. Jenes monologische Verstricken in immer wirrer werdende Thesen jedenfalls, das Verrennen in menschliche und philosophische Sackgassen, hat sich Georg Schramm bei Thomas Bernhard abgeschaut. Bei Bernhard verliert sich der Theatermacher Bruscon in Details, wie etwa dem nicht auszulöschenden Notlicht im Zuschauerraum. Schramms Oberstleutnant Sanftleben indes widmet sich dem “gespaltenen Verhältnis der Deutschen zum Soldatentod”. Beide, Bruscon und Sanftleben, haben den Blick auf das Ganze verloren.

Am Ende eines  Schramm-Abends plagt einem das Gefühl, entweder zu viel, oder an den falschen Stellen gelacht zu haben. Vielleicht hat man vieles aber auch einfach nur zu ernst genommen.

Martin Zips