Haller Tagblatt | 24.04.2002

Wem ist nicht längst das Lachen im Halse stecken geblieben?
Georg Schramm in Schwäbisch Hall

Die Lieblingsthemen des Kabarettisten Georg Schramm sind Krieg, Krankheit, Alter und Tod, bestenfalls noch mal das Wort zum Sonntag. Und nichts will er weniger als dem Publikum einen lustigen Abend bescheren. Daran läßt er von Anfang an nicht den geringsten Zweifel. Aber schon wenn er die Bühne betritt, wenn er, mißbilligend  begrüßt und sich und sein Programm vorstellt, lacht man Tränen. Seine deutlich geäußerte Unzufriedenheit mit der Stadt, dem Saal, dem Publikum ist vermutlich nicht einmal gespielt, sie ist wahrscheinlich einfach ehrlich. Und gerade deshalb urkomisch? Man ergründet es nicht und erliegt der Faszination.

Auf Einladung des Konzertkreises Triangel und des Haller Kulturbüros gab Georg Schramm am Samstag, 20.April 02 im Neubausaal eine Vorstellung. „Ans Eingemachte“ ist der Titel seines „Best of“- Programmes für diesen Abend. Die Vorfreude des Publikums wird gleichzeitig gedämpft und angestachelt indem der Kabarettist die Vorzüge eines „Best of“ betont: für den Darsteller selbst ökonomisch, er verwendet seine alten Stücke weiter, fürs Publikum nicht allzu aktuell und anspruchsvoll. Schlecht versteckte Publikumsbeschimpfung gleich zu Beginn oder ein ins Paradox gewendetes Versprechen, daß es sich bei dem, was kommt ums Feinste vom Feinen handeln wird?

Die erste Figur, der Georg Schramm auf der Bühne zu Leben verhilft, ist ein Bundeswehr- offizier. Dazu ist gut zu wissen, daß Schramm, der klinischer Psychologe, selbst Offizier war. Die Figur steht also auf dem Hintergrund handfester Recherche, bezahlt mit echter Lebenszeit. Und tatsächlich, schnittiger, militärischer war nie ein Bundeswehroffizier. Vorgestellt wird ein völlig neues Betätigungsfeld für deutsche Soldaten: Begleitschutz deutscher Urlauber in Krisengebieten, mit spannendem Beiprogramm für Frau und Familie.

Und, so absurd und akrobatisch das ganze als Kabarettnummer daherkommt, so liegt auch hier nichts vor als die schlichte Wahrheit. Das Programm existiert, Schramm nennt sogar die Aktennummer.

Schneidende sprachliche Wendungen wie „der erfolgreiche Deutsche sucht Urlaub im Krisengebiet“ oder „der Erlebnisgehalt des Urlaubs soll natürlich nicht gestört werden durch die Bundeswehr“ oder „die Frontverläufe sind von rührender landschaftlicher Schönheit“ provozieren schallendes Gelächter.

 In Gedanken an den verzwickten Humor eines George Tabori tritt uns Georg Schramm in einer völlig anderen Rolle gegenüber. Vor den Augen des Publikums wird er unsicher, gebrechlich, einfältig, ein alter Mann mit rührend hessischem Dialekt. Er hat Probleme dabei eine Postkarte an seine „Mutti“, also seine Frau „auszufüllen“, als wärs ein fremdbe- stimmtes Formular. Der alte Mensch kommt uns immer näher: die Frau, „die man nicht mehr rauslassen kann“ hat Krebs, der Sohn ist nach dem Studium aus dem Leben der Eltern verschwunden. Hier ist die Komik zu Ende und es ist der Anfang von Nachfühlen, Mitempfinden und menschlichem Mitleid. Die Lacher im Saal werden zunehmend gespenstisch. Wer hier vorgeführt wird ist nicht die Figur im Rampenlicht, sondern mit ihrer Hilfe, das Publikum selbst. Wer lacht da noch? Wem ist nicht längst das Lachen im Halse stecken geblieben?

Aber es kommt noch schlimmer. Noch wesentlich weitergehende menschliche Verwahrlosung verkörpert Georg Schramm als Personalchef eines gutgehenden mittelständigen Unternehmens in seinem Büro. Hier an der Schwelle zwischen Arbeitswelt und Arbeitslosigkeit sitzt der Kabarettist als Tier, als wahrer Höllenhund. Willkür, Lüge und Verächtlichkeit sind sein Tagesgeschäft und doch nur die Fassade hinter der die Fratze eines menschenverachtenden Militaristen lauert. Als ob es da noch etwas zu lachen gäbe!

Das letzte Glas „Eingemachtes“ zeigt noch einmal einen alten Menschen. „Freilaufend oder Insasse?“ fragt er ins Publikum? Er selbst ist im „Seniorenheim“. Ein Alter, der sich wehrt, der noch ein Fünkchen boshafte Lebensfreude aus dem Arger bezieht, den er mit anderen Alten, noch verursachen kann.

Am Ende des Programms reißt der Applaus nicht ab und Georg Schramm entschließt sich „um es kurz zu machen“ und „um das Publikum ins Haller Nachtleben zu entlassen“ noch zu einer Zugabe.

„Das Wort zum Sonntag“ ist eine Miniatur auf sinnschwangere Geschwätzigkeit, die vorgibt Tabus zu brechen und doch im Endeffekt nichts weiter ist als die Ansage für den nächsten Spielfilm im TV. Wieder Applaus, aber jetzt ist Schluß. Man liebt an Georg Schramm, spätestens nach diesem Abend.

Susanne Gerber